Mittwoch, 3. April 2013

... und die Reue ist doch kein leerer Wahn ... - Über ein ganz besonderes und leider viel zu unbekanntes Gefühl.


Schiller möge mir verzeihen, dass ich seine Worte aus der Bürgschaft auf meine Weise abgewandelt habe; eigentlich steht dort ja:

Und die Treue ist doch kein leerer Wahn ...

Unwillkürlich fällt auf, dass das Wort Reue in T-reue enthalten ist. Ist Reue Voraussetzung für Treue?
Dazu ein andermal mehr

In der letzten Zeit habe ich viel über Reue nachgedacht und gemerkt, dass Reue nicht gleich Reue ist bzw. dass die Reue ein Tiefenbarometer hat, wie ich es mir nicht hätte vorstellen können.

Vor ein paar Wochen habe ich bei Stefan v. Jankovich, der ja damals für mich Ausgangspunkt einiger Posts zum Thema Nahtod und Sterben war, etwas über Reue gelesen; seitdem war das Thema latent in mir, und ich habe mir damals vorgenommen, die Worte des gebürtigen Ungarn aus seinem Buch Ich war klinisch tot später aufgreifen – was ich nun hiermit tue:

Ich erkannte (..), daß unsere Moralbegriffe im Jenseits keine Gültigkeit haben. Seit jener Zeit bin ich allen menschlichen Moralbegriffen gegenüber kritisch eingestellt. Ich habe mich sehr viel mit diesen Problemen beschäftigt und tue dies auch weiterhin. Heute scheint es mir, daß die negativen Gedanken und Taten immer mein Versagen darstellten, bei welchem es mir nicht gelang, Proben des Lebens zu bestehen, mit Proben der Vergangenheit fertigzuwerden und mich von diesen Belastungen zu befreien.
Bei der Beurteilung spürte ich, daß das ganze Leben eine Probe war, voll mit Problemen, Hindernissen und Hürden. Wichtig war, wie ich diese Probleme, diese Situationen im Sinne der Harmonie löste. Gelang mir das, so spürte ich große Freude. Gelang es mir nicht, so verspürte ich tiefes Bedauern über mein Versagen. Aber auch durch das Eingestehen und echte Reue öffnete sich die Tür der Göttlichen Vergebung. Danach wurden die Gedanken und Taten, die einen Verstoß gegen das Gesetz der Harmonie und der Liebe darstellten, ausgeblendet und verschwanden. Warum? Ich glaube einfach deshalb, weil im Gottesprinzip nichts Böses enthalten ist. Es blieben nur die positiven, glücklichen und harmonischen Ereignisse, die bestandenen Prüfungen als Gesamterlebnis, die ich alle wieder gleichzeitig, d. h. in sogenannter „Nullzeit", als die schönste Illusion erlebte. Man kann sagen, daß man nur die guten Noten mitnimmt — um mich eines Gleichnisses aus der Schule zu bedienen. Die nicht bestandenen Prüfungen in den einzelnen Fächern muß man wieder versuchen, bis es uns einmal gelingt, sie zu bestehen. Dies könnte die sogenannte karmische Belastung darstellen.

Stefan v. Jankovich schreibt für mich sehr authentisch und er ist nicht einer der Schönwetter- und Licht-und-Liebe-Esoteriker(innen).
Allerdings kollidiert, was er schreibt, doch eigentlich mit dem Gedanken des Jüngsten Gerichts. Darüber habe ich mir schon an anderer Stelle Gedanken gemacht und ich glaube, es verhält sich damit nicht so, wie uns kirchliche Institutionen und eine orthodoxe Theologie und Bibelauslegung weismachen wollen. 
Deshalb widersprechen Jankovichs Gedanken zum Thema Reue und Vergebung meines Erachtens nicht der Bibel.
Wenn jemand den verlorenen Sohn erlebt hätte, als er das Gut und Geld seines Vaters mit Huren und Prassen auf den Kopf gehauen hätte, hätte er als rechtschaffener Christ das Kreuz und die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und ihn in der ewigen Verdammnis sehen müssen.
Genauso ist es nicht.

Ewigkeit und Jüngstes Gericht – das sind Begriffe unseres Zeit-Verständnisses

Aber so einfach, der ewigen Verdammnis, die es ja - richtig verstanden - wirklich gibt, zu entgehen, wie manche glauben, ist es auch nicht.
Ich glaube nicht, dass es eine ewige Verdammnis im üblich religiösen Sinne gibt; ewig - das ist ein Begriff der Zeit. Was wir anstreben ist ein Leben aus und in Liebe. Das aber befindet sich im Grunde außerhalb unserer Zeitbegriffe. Auch ein Begriff wie das Jüngste Gericht ist ein Begriff, der unserem Zeitverständnis Rechnung trägt. 
Ich persönlich nehme an, dass es etwas gibt, was außerhalb jeder Form von Gericht, außerhalb von dem, was wir Zeit nennen, liegt.
Nur: Wie komme ich dahin? 
Wie komme ich zurück zu einem Zustand, der dem Urzustand der Menschen entspricht, einem Leben in wahrer Liebe?
Welche Rolle spielt hier Reue?
Wie gelingt dieses tiefe Bedauern, von dem Jankovich spricht?

Katharsis des Tempels und der Seele

Muss man in den Bauch des Wals wie Jonas, als er sich dem göttlichen Auftrag entzieht, nach Ninive zu gehen, und von den Fischern, in deren Boot er sich befindet und die erkennen, dass er verantwortlich ist für den Sturm, in den sie geraten sind, über Bord geworfen wird?
Ja, man muss! 
Ich glaube, es geht nicht ohne.
Ohne Leid geht es nicht. Die Menschen sind zu resistent geworden gegen Wandlung ohne Leid.
Das ist auch der Grund, warum die griechische Kultur so großen Wert auf Katharsis legte, auf die Reinigung der Seele. Ohne diese Reinigung, so die Übersetzung des griechischen Wortes, geht es nicht. Deshalb reinigt Jesus in der Bibel so energisch den Tempel.
Der Tempel, das ist die Seele des Menschen. Ohne deren energischer Reinigung, ohne Katharsis geht es nicht. – Und genau hier hat Reue ihre Bedeutung.

Menschen haben zu viele Möglichkeiten entwickelt, sich abzuschotten von den emotionalen Tiefen des Lebens. Über Gefühle wird viel gesprochen, aber das ist kein Garant, Gefühle zu empfinden.

Reue ist ein Gefühl, ein Gefühl der Tiefe!

Reue hat mit Einsicht zu tun, mit einem Tiefenverständnis von dem, was das Neue Testament im Griechischen Hamartia nennt und Luther mit Sünde übersetzt. Gemeint aber sind FehlerVerfehlungen, Abweichungen von unserem Weg, so wie Hänsel und Gretel und viele Märchenhelden sich verlaufen, sind Irrungen und Wirrungen.
Reue bedeutet, auf dem Bewusstseinsweg zu sein, was es mit diesem Irren auf sich hat, mit diesen Fehlern.

Allerdings, was sich aus allem ergibt: Mit dem Kopf löse ich diese Irrungen nicht auf.

Irrungen sind kein Makel. Diesen geradlinigen Weg, wie ihn sich viele wünschen, gibt es auf der Erde nicht, genauso wenig wie der Ozean in größter Regelmäßigkeit an die Gestade der Länder brandet. Es gibt keinen Fahrplan für Wellen, für die Gezeiten schon, aber nicht für die Wogen, auch nicht für die Wogen des Lebens. Wir können ihnen nicht ausweichen, wenn wir wissen und lernen wollen, was Leben ist. 
Manche versuchen es, doch sie stehen ewig auf einer Aussichtsplattform, zeigen auf das Leben und reden klug darüber. Manche spüren, wie blutleer deren Gerede ist.
Wer leben will, setzt sich seinen Fehlern aus, setzt sich dem Maßstab der Liebe aus.
Wenn jemand das tut, springt er ins Wasser. Das ist etwas anderes als das Stehen auf der Aussichtsplattform.

Hilft Reue, die tosenden Wasser des Lebens zu beruhigen?

Woher kommt eigentlich das Wort Reue?
Und wie sieht wirkliche Reue aus?
Gibt es eine Instanz, auf deren Vergebung wir angewiesen sind?
Demnächst dazu mehr.

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